Fallstudie: Von der Festung Königstein in den Steinbruch – Vom Leben eines sächsischen Tagelöhners

Johann Friedrich August Berger wurde im Mai 1792 als Sohn des Tagelöhners Christian Gottlieb Berger und seiner Frau Eva Rosina, geb. Richter in Höckendorf bei Dippoldiswalde geboren. 

Im Alter von 22 Jahren wurde er zum Militärdienst in die sächsische Armee eingezogen. Nach Napoleons Niederlage bei der Völkerschlacht zu Leipzig war das sächsische Militär 1813 auf die Seite der verbündeten Staaten (Preußen, Russland, Österreich …) gewechselt und wurde dann zum Kampf gegen Napoleon neu formiert. So dürfte auch Friedrich August zu den neu rekrutierten Soldaten gehört haben, die 1814 und 1815 (erneut) gegen Napoleon ins Feld zogen. Nach den Kämpfen in Westdeutschland und Frankreich wurde der einfache Soldat der Festungsdivision Königstein zugeteilt, wo er bis zum Ende seines Militärdienstes im Jahr 1825 blieb.

In Königstein an der Elbe fand der Festungssoldat dann wohl auch sein zukünftige Frau Johanna Juliane Hartitzsch. Einen Tag vor der offiziellen Entlassung aus dem Militärdienst (am 27.11.1825) war bereits ein erster Sohn, Friedrich August, geboren worden. Das Paar wurde schließlich im Juni 1826 in der Kirche zu Königstein getraut und blieb in dem kleinen Ort Hütten, dem Geburtsort Johannas, wohnen. 

Soldat Berger Seite 4


Militärakten im Sächsischen Staatsarchiv

„verabschiedeter Gemeiner von der Garnison - Division der Festung Königstein, und derzeit Einwohner in den Hütten“

Dieser Eintrag zum Stand des Bräutigams im Traubuch der evangelischen Kirchgemeinde Königstein/Sachsen bildete den Ansatz für Recherchen zum Soldatenleben des Johann Friedrich August Berger.

Das Sächsische Hauptstaatsarchiv in Dresden verwahrt Aufzeichnungen zum sächsischen Militär aus den unterschiedlichen Jahrhunderten. Darunter auch Musterungslisten der militärischen Verbände aus der Zeit Napoleons. Musterungslisten sind Auflistungen von Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten sowie sonstiger zugehöriger Personen der jeweiligen Einheiten im betreffenden Musterungsjahr. Die Akten können zwischen 1 cm und 20 cm dick sein, je nach Umfang der Einheit. Die Listen sind nach Kompanien aufgeteilt. Die Namen der aufgenommenen Militärs sind nicht alphabetisch sortiert, sondern innerhalb der Einheit mit laufender Nummer und nach Rang geordnet. Eine Suche nach Namen erfordert somit nicht selten die vollständige Durchsicht der Musterungslisten.

Gattung und Namen militärischer Einheit sowie eine Jahresangabe zur Militärzeit ist für eine Suche in den Musterungslisten unbedingt nötig und sollte bei Beginn der Recherche bekannt sein! Die Anzahl der Musterungslisten zu den einzelnen Einheiten ist einfach zu groß, um diese alle durchsehen zu können.

Weitere Infos zu diesem militärischen Bestand können in der Einleitung und Geschichte des Bestandes „11241 Musterungslisten“ beim Sächsischen Staatsarchiv nachgelesen werden.

Hintergrundwissen aus der Handbibliothek

Jedes gut ausgestattete Archiv bietet dem Archivnutzer eine frei zugängliche Handbibliothek. Auch das sächsische Hauptstaatsarchiv Dresden verfügt über ausgewählte Publikationen und Standardwerke zur Geschichte Sachsens.

Wichtiges und notwendiges Hintergrundwissen zur Geschichte der sächsischen Armee und zur Festungsdivision Königstein fand ich in den Standardwerken:

  • "Geschichte der Sächsischen Armee von deren Errichtung bis auf die neueste Zeit" von O. Schuster und A. F. Francke (1885). 
  • "Stammregister und Chronik der Kur- und Königlich-Sächsischen Armee von 1670 bis zum Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts" von Heinrich August und Franz Verlohren (1910)

Alle 3 Bände der "Geschichte der Sächsischen Armee" sind übrigens als Bestandteil der Digitalen Sammlung der Landesbibliothek Dresden (SLUB) online verfügbar.

Aus den historischen Beschreibungen bekam ich Informationen zur Festungsdivision, dem Standort Königstein, Berichte zu den wichtigen Feldzügen des gesuchten Zeitraums und wertvolles Wissen zur Rekrutierung bzw. Entlassung sächsischer Soldaten. Das erworbene Wissen half bei der Ermittlung der richtigen Musterungslisten und beim Deuten der gefundenen Inhalte.

985px Bielatalbahn

Das Leben eines Tagelöhners

Am Fuße der Festung Königstein fand Friedrich August Berger wohl nach seinem Militärdienst Arbeit als Steinbrecher. Zu dieser Zeit wurden noch in schwerer Handarbeit Steine mit einfachen Mitteln aus dem Fels geschlagen und gespalten. Später verdiente sich Friedrich August scheinbar seinen Lohn als Tagearbeiter an der Elbe. Die Schifffahrt auf der Elbe hatte natürlich auch in Königstein eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung, welche mit Beginn der Dampfschifffahrt in den 1830er Jahren weiter zunahm.

Zum Zeitpunkt der Geburt ihres fünften und letzten Kindes, Johann Karl Gottlieb, im Oktober 1836, wohnte das Paar Berger in Elbhäuser, einer kleinen Siedlung in unmittelbarer Elbnähe. Als Unterkunft eines Handarbeiters und Tagelöhners diente Friedrich August und Johanna Juliane wahrscheinlich lediglich ein kleines Haus ohne größeres Grundstück, wo das Paar und teilweise vier Kinder Platz finden mussten.

676px Quarryman 1833

Akten zur Innung der Steinbrecher im Sächsischen Staatsarchiv

Die Tätigkeit in einem Handwerkerberuf war und ist bis heute in den meisten Fällen auch immer mit einer Mitgliedschaft in einer Vereinigung verbunden. Diese ist je nach Region und Handwerk die Mitgliedschaft in einer Zunft oder Innung. In den besten Fällen sind Aufzeichnungen zu Mitgliedern erhalten geblieben. Zur Steinbrecherinnung fand ich im sächsischen Staatsarchiv ein „Verzeichnis der zur Königsteiner Innung gehöriger Steinbrecher“. Die im Bergarchiv Freiberg verwahrte Originalakte ist als Digitalisat über die Website des Staatsarchivs verfügbar und kann direkt online eingesehen werden.

Mit dem Wissen zum Jahr der Entlassung aus dem Militärdienst und der bekannten Tätigkeit als Steinbrecher, dem Namen und der Herkunft des Friedrich August Bergers durchsuchte ich das Verzeichnis. Unter der Nummer 191 fand ich den Eintrag zu ihm. Der 1792 in Höckendorf geborene Friedrich August Berger war am 27. Juni 1827 eingeschrieben worden. Er wohnte in Hütten und arbeitete im Steinbruch „Oberleithe“ in Königstein. Mit Überraschung las ich in der Spalte „Gestorben oder abhanden gekommen“ die Angaben zum Tod des Friedrich August Berger: "erfroren 1840". Damit hatte mir das Verzeichnis der Innung nicht nur die Tätigkeit als Steinbrecher bestätigt, sondern auch den bis dahin nicht bekannten Verbleib geklärt.

Innungsverzeichnis

Krankheiten und Kindersterblichkeit

Von den zwischen 1825 und 1836 geborenen fünf Kindern (fünf Söhnen) des Paares Friedrich August Berger und Johanna Juliane, geb. Hartitzsch verstarben ein 3-jähriger Sohn an Keuchhusten und ein 4-jähriger Sohn an der „englischen Krankheit“.

Keuchhusten, auch als Pertussis oder Stickhusten bekannt, ist bis heute eine ernst zunehmende Erkrankung der Atemwege. Immer wieder verursachte Keuchhusten Epidemien, so auch 1815/1816 in Deutschland. Erst mit der 1933 in Deutschland eingeführten Impfung konnte diese bis dahin häufige Kinderkrankheit eingedämmt werden. Die Lungenkrankheit kann darüber hinaus bei Menschen aller Altersgruppen gefährlich werden und war in den Jahren 2008 bis 2012 Auslöser von Epidemien in Australien. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Keuchhusten#Geschichte)

Die „englische Krankheit“ oder Rachitis ist eine Erkrankung der Knochen oder des Knochenwachstums. Als Folge können höhere Anfälligkeiten für Infektionskrankheiten aller Art oder schmerzhafte Knochenverformungen auftreten. Im 19. Jahrhundert wurde sie vor allem durch Mangelernährung und Vitamin-D-Mangel verursacht. Die Krankheit trat am häufigsten in den (industrialisierten) Städten Englands auf, wo viele Kinder zur Arbeit in dunklen Bergwerken und Fabriken eingesetzt wurden. Das ist wohl auch der Ursprung für die bekannte Bezeichnung als „englische“ Krankheit. Der Mangel durch unzureichende Ernährung und fehlendem Sonnenlicht konnte schließlich durch die gezielte Verabreichung von Vitamin-D und UV-Bestrahlung gemindert und beseitigt werden. Erste erfolgreiche Behandlungen wurden bereits 1918 von englischen Ärzten durchgeführt. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Rachitis)

Bei dem Sohn Friedrich August Bergers könnte mangelhafte Ernährung oder aber auch eine Erberkrankung die Ursache für die Rachitis gewesen sein.

Eine bewegte Familiengeschichte

Johanna Juliane Berger, geborene Hartitzsch starb am 28.4.1866 mit 64 Jahren an den Auswirkungen eines Geschwulstes als Witwe. Sie wurde auf dem Höckendorfer Friedhof beigesetzt. Ihr Ehemann, Friedrich August, war bereits 1840 gestorben. Das Paar erlebte weder die Heirat des jüngsten Sohnes noch den Tod des ältesten Sohnes im Jahr 1867.

Im Januar 1867 beging der 41-jährige Handarbeiter und Junggeselle, Friedrich August Berger, Selbstmord. Der Leichnam des ältesten und gleichnamigen Sohnes des ehemaligen Festungssoldaten wurde für Untersuchungszwecke an das anatomische Institut nach Leipzig überstellt.

Im April 1867 heiratete Johann Karl Gottlieb (1836-1903), als jüngster Sohn Friedrich August Bergers in Höckendorf seine 7 Jahre jüngere Frau Emilie Alwine Lohse. Bei der Geburt ihres elften Kindes, Ernst Emil (1881-1924), starb die Mutter Emilie Alwine an Herzlähmung mit nur 37 Jahren.

Im Juli 1897 ertrank der 70-jährige Johann Karl Leberecht Berger. Der ledige Tagearbeiter (zweitgeborener Sohn des Friedrich August und der Johanna Juliane Berger, geb. Hartitzsch) wurde auf dem Königsteiner Friedhof bestattet.

Die Rückkehr ins Osterzgebirge

Die genauen Umstände zum Tod und der Ort der Bestattung des Steinbrechers Friedrich August Berger selbst konnte bisher nicht ermittelt werden. Weder in den Kirchenbüchern zu Königstein noch in Höckendorf fand sich ein Eintrag zu seinem Tod. Den Angaben im Verzeichnis der Steinbrecherinnung folgend kann davon ausgegangen werden, dass er in Königstein verstarb. Johanne Juliane Berger zog scheinbar gemeinsam mit zwei Söhnen nach Höckendorf, dem Herkunftsort ihres Mannes. Vermutlich hatte der Tod ihres Ehemannes und das extreme Elbehochwasser im Jahr 1845 der Frau mit Kindern die Lebensgrundlage genommen.

Der jüngste Sohn Friedrich August Bergers, Johann Karl Gottlieb, gründete als einziger der Söhne eine Familie und wurde als Schneider in Höckendorf sesshaft. So führte er die Stammlinie der Familie Berger schließlich in Höckendorf fort. Diese Linie wurde im Rahmen von Auftragsrecherchen von 2017 bis 2020 erforscht.

Print Friendly and PDF Ausdrucken

2 Kommentare

  • Für mich hochinteressant, mein Urgroßvater war auch Steinbrecher im Elbsandsteingebirge. Er starb an einer Steinlunge und meine Urgroßmutter blieb mit 11 Kindern zurück. Ich habe es aber noch nicht erforscht. Danke für den Beitrag.
  • Sehr spannend und erstaunlich, was man zum Leben eines einfachen Tagelöhners herausfinden kann! Danke für den Tipp zur Innung der Steinbrecher. Für mich ein neuer Ansatz für eigene Forschungen, denn aus meiner Familie hatten ebenfalls viele diesen Beruf. Liebe Grüße und guten Rutsch :-)!

Was denkst du?

Hier bekommst du regelmäßig die neuesten Tipps und Hinweise zu Familienforschung und Archivrecherchen bequem in deinen E-Mail-Postkasten.

Datenschutz garantiert. Keine Weitergabe deiner E-Mail-Adresse. Newsletter kannst du jederzeit wieder abbestellen.
Powered by Chimpify